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Seltsame Wesen bevölkern die Innenstadt

Immobilien Zeitung | 10.5.2011

Im großen Berlin wächst ein kleines Haus, das ein besonderes ist: Sergej Alexander Dott wird die Fassade mit einer über 20 m großen Skulptur schmücken. Im kleinen sächsischen Zittau hat der Berliner Pop-Art- Künstler ein ganzes Viertel mit seltsamen Wesen bevölkert und ganze Straßenzüge in bunte Farbe getaucht. So hat er dafür gesorgt, dass ehemals triste Plattenbauten, die zu weit über die Hälfte leer standen, jetzt voll vermietet sind. Ganz ohne Gegenwehr ging das aber nicht.

Ein großer, goldener Torbogen in Form einer DNA-Doppelhelix spannt sich 16 m über die Straße. Das Kunstwerk verbindet zwei Wohnblöcke und markiert gleichzeitig den Weg in die historische Altstadt von Zittau. Die Hauswände schmücken spielende Kinder, Blumenmuster, keltische und ägyptische Zeichen, Engel, Kühe, Schafe und Äpfel.

Eigentümer des quietschbunten, fröhlichen Stadtquartiers mit 180 Wohnungen auf 10.000 m2 Fläche ist die Berliner Firma Sparkling AG für Immobilienprojektentwicklung. Seit 2006 arbeiten der Künstler mit den russischen Wurzeln und der Berliner Entwickler zusammen. "Unser erstes Projekt war die Wohnanlage Obersteiner Weg in Berlin-Weißensee", erzählt Sparkling-Vorstand Christian Kunzendorf. Aus einer grauen und sanierungsbedürftigen Wohnanlage aus den 30er Jahren, in der die Hälfte der Wohnungen leer standen, ließen die beiden im Jahr 2007 Vögel, Hasen und Fische von den Häusern springen. Das half der Vermietung auf die Sprünge. "Derzeit arbeiten wir mit Sergej Dott an fünf Projekten in Berlin", ergänzt Kunzendorf. Ein aktuelles Kunst-am-Bau-Projekt, ein Mietshaus in der Wollankstraße, im weniger feinen Teil von Berlin-Mitte, wird bis Ende Mai fertiggestellt.

Triste Plattenbauten wurden zur Touristenattraktion

Ein weiteres Berliner Dott-Sparkling-Haus befindet sich im Stephankiez in der Perleberger Straße, auch in dem Teil vom Bezirk Mitte, wo noch Kebab-Buden und Ein-Euro-Shops das Straßenbild prägen. Derzeit wird das Gebäude mit 2.000 m2 Wohn- und 200 m2 Gewerbefläche, das in Zukunft die 20 m große Skulptur tragen wird, nach den Plänen der Berliner Architektin Conny Gloger umgebaut. Ihr Job: Die Reste vom Charme des in den 80er Jahren verschlimmbesserten altehrwürdigen Gerichtsgebäudes zu retten. Bei der begonnenen Sanierung ließ sie bislang den historischen ehemaligen Eingangsbereich mit einem seltenen Kreuzgewölbe freigelegen. Nach Fertigstellung Ende des Jahres wird im bereits voll vermieteten Haus auch der selbstbewusste, schrille Künstler mit den blonden Locken in einem der beiden Läden selbst Quartier nehmen. Und das soll sich nicht nur ein gut beschäftigter Bildhauer leisten können. Auch wenn Kunzendorf nicht verraten will, wie viel Miete er verlangt, so viel sagt er doch: Mittleres Marktsegment für Berlin-Moabit: "Wir führen keine Luxussanierungen durch."

Den wohl größten Coup landeten Sparkling und Dott aber wohl in Sachsen. Das Ende des vergangenen Jahres fertig sanierte Viertel in der Zittauer Altstadt entwickelte sich mit seinen grellen, schrägen Farben und auffälligen Skulpturen in Windeseile zur Touristenattraktion. Die Stadt nennt das Quartier jetzt Künstlerviertel Zittau. Manch einer meint gar, Deutschlands größtes Pop-Art-Kunstwerk stehe seit Neuestem im deutsch-polnisch-tschechischen Dreiländereck. Vor der Ende vergangenen Jahres abgeschlossenen Sanierung fristeten die Straßenzüge ein tristes Dasein. 100 Wohnungen in den drei- bis viergeschossigen Mehrfamilienhäusern am Zittauer Tor standen leer. Investor Kunzendorf und sein Hausund-Hof-Künstler Dott sowie wiederum Architektin Cloger standen vor einem Mix aus Gebäuden aus den 80er Jahren, die keine Augenweide waren.

Seltsame Wesen bevölkern die Innenstadt von Zittau

Ihr Plan: Die heruntergekommenen architektonischen "Fremdkörper" innerhalb der historischen Innenstadt im positiven Sinn als solche herauszustellen. Ein Mittel der Wahl war bunte Farbe, da die Blöcke einst farbig gestrichen waren. Mittel Nr. 2, um das Wohngebiet aus dem tristen Einerlei hervorzuheben: Skulpturen, die für Aufmerksamkeit sorgen. Seitdem bevölkern seltsame Wesen die Zittauer Innenstadt. Dott ließ unregelmäßige sandfarbene Dächer über die Hauseingänge bauen und stellte zwei Jünglinge, die ein Pferd halten, als lebensgroße Figuren oben drauf. Er dachte sich einen goldenen Blätterkranz aus, ließ damit das Fenster eines blauen Gebäudes einrahmen und schuf einen aus der griechischen Sagenwelt entlehnten Zentauren, der seitdem mit erhobenem Arm die Zittauer und ihre Gäste grüßt. Die Figuren hat er in Kunststoff gegossen und mit Sand beschichtet.

Mit viel Elan, guten Ideen und Injektionsmörtel aus dem Hause der Unternehmensgruppe Fischer (die mit den Dübeln) ging das Trio zu Werke. Doch das gefiel nicht jedem. Zunächst war manch ein Bürger von den knallbunten Fassaden und komischen Figuren an den Wänden nicht sofort überzeugt. Zu Beginn gab es gegen ein lila Haus, dessen Farbe bis zum Marktplatz strahlt, sogar eine Unterschriftenaktion. Doch das ist Geschichte. Mittlerweile freuen sich die Stadtväter über den neuen Anziehungspunkt und darüber, dass auch in historischen Städten Experimente gelingen können.

Singles und Familien erhörten den Ruf der bunten Häuser

Die Wohnungen in der Rosen- und Grünen Straße sind voll vermietet, "bis auf die Fluktuationsreserve von 5%", sagt der Sparkling-Chef. Punkten können die Eigentümer nicht nur mit dem grellen Pop-Art-Flair des Viertels, sondern auch mit seiner Lage im Altstadtkern. Bis zum Marktplatz sind es etwa 200 m, der Campus der Hochschule Zittau-Görlitz sowie das Hochschulinstitut Zittau (IHI) sind zu Fuß erreichbar. Doch nicht nur Studenten erhörten den Ruf des Regenbogenviertels. Kunzendorf kann auch Zuzügler aus den Vororten begrüßen - Singles genauso wie ganze Familien.

Die über ein Jahr laufende Sanierung hat 3 Mio. Euro gekostet. Gefördert wurde die Kunst am Bau mit 400.000 Euro aus Brüssel. Das deckt etwa die Hälfte dessen ab, was die Fantasiewelt des 1959 geborenen Künstlers gekostet hat, sagt Kunzendorf. Dafür gab es aber die Vollvermietung. (gg)